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Blankverse von Renate Golpon: 
In Concert   Meinesgleichen

Der blank verse (engl.), zu deutsch reiner, ungereimter Vers, ist z.B. von Shakespeare genutzt worden. Im 18.Jahrhundert gelangte der Blankvers aus der englischen in die deutsche Dichtung. Vor allem Lessing („Nathan der Weise“) hat ihn verwendet, und dieser Vers konnte sich als Regelvers für das klassische Drama (Goethe, Schiller) durchsetzen. Der Alexandriner als beherrschender Vers in Lyrik und Drama wurde immer mehr zurückgedrängt.

Der Idealtyp des klassischen deutschen Blankverses ist ein ungereimter steigender Fünftakter (fünfhebiger Jambus), der aus zehn Silben (männlich) oder elf Silben (weiblich) besteht. Auch im 19. Jahrhundert (Kleist, Hebbel, Grillparzer) und hin und wieder im 20.Jahrhundert wurde der Blankvers verwendet, sogar in Epik (Wieland, Bürger) und Lyrik (Rilke). In einigen Gedichtgattungen (Sonett, Terzine, Stanze) tritt der fünfhebige Jambus gereimt auf.

Der stringente Blankvers, wie ihn Goethe angestrebt hat, erfordert Sicherheit im Metrum. Das Metrum ist ein enges Gefäß für die Sprache (Inhalt) mit ihren betonten und unbetonten Silben. Dieses Gefäß lässt sich aber „weiten“. Daher wurde der strenge Blankvers zu leichter handhabbaren flexiblen Blankversen abgewandelt, z.B. durch Enjambements, Metrumvermischung, Übergang in Prosa.

B L A N K V E R S E 

 

 


Die beiden Beispiele unten zeigen, 
dass Lessing und Goethe den Verstakt regelgerecht durchhalten, 
also durchgängig fünfhebige Jamben verwenden.

 


Lessing: Aus „Nathan der Weise“

Ins Haus nun will ich einmal nicht. - Er wird
sich endlich doch wohl sehen lassen! - Man
bemerkte mich ja sonst so bald, so gern! –
Will's noch erleben, dass er sich's verbittet,
vor seinem Hause mich so fleißig finden
zu lassen. - Hm! - ich bin doch aber auch
sehr ärgerlich. – Was hat mich denn nun so
erbittert gegen ihn? - Er sagte ja:
noch schlüg' er mir nichts ab. Und Saladin
hat's über sich genommen, ihn zu stimmen. –
Wie? sollte wirklich wohl in mir der Christ
noch tiefer nisten, als in ihm der Jude? –
Wer kennt sich recht? Wie könnt' ich ihm denn sonst
den kleinen Raub nicht gönnen wollen, den
er sich's zu solcher Angelegenheit
gemacht, den Christen abzujagen? – Freilich;
kein kleiner Raub, ein solch Geschöpf! – Geschöpf?
Und wessen? – Doch des Sklaven nicht, der auf
des Lebens öden Strand den Block geflößt,
und sich davongemacht? Des Künstlers doch
wohl mehr, der in dem hingeworfnen Blocke
die göttliche Gestalt sich dachte, die
er dargestellt? – Ach! Rechas wahrer Vater
bleibt, trotz dem Christen, der sie zeugte, – bleibt
in Ewigkeit der Jude. – Wenn ich mir
sie lediglich als Christendirne denke,
sie sonder alles das mir denke, was
allein ihr so ein Jude geben konnte: –
Sprich, Herz, – was wär' an ihr, das dir gefiel?
Nichts! Wenig! Selbst ihr Lächeln, wär' es nichts
als sanfte schöne Zuckung ihrer Muskeln;
wär', was sie lächeln macht, des Reizes unwert,
in den es sich auf ihrem Munde kleidet: –
Nein; selbst ihr Lächeln nicht! Ich hab es ja
wohl schöner noch an Aberwitz, an Tand,
an Höhnerei, an Schmeichler und an Buhler
verschwenden sehn! – Hat's da mich auch bezaubert?
Hat's da mir auch den Wunsch entlockt, mein Leben
in seinem Sonnenscheine zu verflattern? –
Ich wüsste nicht. Und bin auf den doch launisch,
der diesen höhern Wert allein ihr gab?
Wie das? Warum? – Wenn ich den Spott verdiente,
mit dem mich Saladin entließ! Schon schlimm
genug, dass Saladin es glauben konnte!
Wie klein ich ihm da scheinen musste! Wie
verächtlich! – Und das alles um ein Mädchen? –
Curd! Curd! Das geht so nicht. Lenk ein! Wenn vollends
mir Daja nur was vorgeplaudert hätte,
was schwerlich zu erweisen stünde? – Sieh,
da tritt er endlich, im Gespräch vertieft,
aus seinem Hause! – Ha! mit wem! – Mit ihm?
Mit meinem Klosterbruder? – Ha! So weiß
er sicherlich schon alles! Ist wohl gar
dem Patriarchen schon verraten! – Ha!
Was hab ich Querkopf nun gestiftet! – Dass
ein einz'ger Funken dieser Leidenschaft
doch unsers Hirns so viel verbrennen kann! –
Geschwind entschließ dich, was nunmehr zu tun!
Ich will hier seitwärts ihrer warten; – ob
vielleicht der Klosterbruder ihn verlässt.



Goethe: Aus „Iphigenie auf Tauris“

Heraus in eure Schatten, rege Wipfel
des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines,
wie in der Göttin stilles Heiligtum,
tret ich noch jetzt mit schauderndem Gefühl,
als wenn ich sie zum erstenmal beträte,
und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher.
So manches Jahr bewahrt mich hier verborgen
ein hoher Wille, dem ich mich ergebe;
doch immer bin ich, wie im ersten, fremd.
Denn ach! Mich trennt das Meer von den Geliebten,
und an dem Ufer steh ich lange Tage,
das Land der Griechen mit der Seele suchend;
und gegen meine Seufzer bringt die Welle
nur dumpfe Töne brausend mir herüber.
Weh dem, der fern von Eltern und Geschwistern
ein einsam Leben führt! Ihm zehrt der Gram
das nächste Glück vor seinen Lippen weg,
ihm schwärmen abwärts immer die Gedanken
nach seines Vaters Hallen, wo die Sonne
zuerst den Himmel vor ihm aufschloss, wo
sich Mitgeborne spielend fest und fester
mit sanften Banden aneinanderknüpften.
Ich rechte mit den Göttern nicht; allein
der Frauen Zustand ist beklagenswert.
Zu Haus und in dem Kriege herrscht der Mann,
und in der Fremde weiß er sich zu helfen.
Ihn freuet der Besitz; ihn krönt der Sieg!
Ein ehrenvoller Tod ist ihm bereitet.
Wie eng-gebunden ist des Weibes Glück!
Schon einem rauen Gatten zu gehorchen
ist Pflicht und Trost; wie elend, wenn sie gar
ein feindlich Schicksal in die Ferne treibt!
So hält mich Thoas hier, ein edler Mann,
in ernsten, heil'gen Sklavenbanden fest.
O wie beschämt gesteh ich, dass ich dir
mit stillem Widerwillen diene, Göttin,
dir, meiner Retterin! Mein Leben sollte
zu freiem Dienste dir gewidmet sein.
Auch hab ich stets auf dich gehofft und hoffe
noch jetzt auf dich, Diana, die du mich,
des größten Königes verstoßne Tochter,
in deinen heil'gen, sanften Arm genommen.
Ja, Tochter Zeus', wenn du den hohen Mann,
den du, die Tochter fordernd, ängstigtest,
wenn du den göttergleichen Agamemnon,
der dir sein Liebstes zum Altare brachte,
von Trojas umgewandten Mauern rühmlich
nach seinem Vaterland zurückbegleitet,
die Gattin ihm, Elektren und den Sohn,
die schönen Schätze, wohl erhalten hast:
So gib auch mich den Meinen endlich wieder,
und rette mich, die du vom Tod errettet,
auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!