Sonett

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Gefangen

Ach, liebe Freunde, wenn wir Flügel hätten
und wär'n in engem Denken nicht gefangen,
dann schielten wir nicht fiebernd vor Verlangen
nach weit entfernten Dichtersilhouetten.

Wir könnten uns aus dieser Enge retten,
die meterhohen langen Gitterstangen
verlassen und nicht fassungsloses Bangen
zum Himmel schrein in kränklichen Sonetten.

Arg eingezwängt ins alte Metrummieder,
wolln im Sonett wir wahre Wunder sehen?
Was wünschen von Quartett, Terzett wir bieder?

Gedanken, die direkt gen Himmel wehen?
Sing ich nun leise oder laute Lieder?
Der Wunsch nach Wohlklang, er wird nie vergehen!

Renate Golpon (Referenzgedicht: „Affentheater” von Hans Adler)

 

 

 

 

 

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„Gedichtform aus 14 meist fünfhebigen jambischen Versen, die in zwei vier- (Quartette) und oft zwei dreizeilige (Terzette) Strophen gegliedert sind; vorwiegend mit dem Reimschema abba, abba, cde und cde. Der äußeren Form des Sonetts entsprechen der syntaktische Bau und die innere Struktur: Die Quartette stellen in These und Antithese die Themen des Gedichts auf; die Terzette führen diese Themen in konzentrierter Form durch und bringen die Gegensätze anschließend zur Synthese.“ Zitat aus dem Brockhaus multimedial premium 2006

Der vorstehende Lexikonausschnitt muss ergänzt werden. Zur Form sollte der Inhalt passen.
Als Gedichtform für banale Beschreibungen, Berichte, Mitteilungen u.ä. ist das Sonett nicht geeignet; es wirkt – wenn so missbraucht – entweder langweilig, lächerlich, abgewertet, oder es mutiert zur unbeabsichtigten oder gewollten (!) Sonett-Parodie.
Daher werde ich alle „Sonette“ dieser Art unter den Rubriken „Sachsprache-Sonette", „Spaßsonette“ oder „Sudel-Sonette“ veröffentlichen, die poetischen aber als „Dichtersprache-Sonette“.
Dichtersprache? Gemeint ist eine „uneigentliche“, bildliche, umschreibende, verfremdende Sprache mit Stilmitteln wie Allegorie, Metapher, Parabel, Symbol, Chiffre, Hyperbel, Periphrase.
Vorsicht: Schwülstige oder geschraubte Ausdrucksweise ist untypisch für die Dichtersprache, aber gängig in der Trivialliteratur.
Bitte beachten Sie: Es werden hier nur eigenständige Sonette veröffentlicht, keine Übersetzungen ins Deutsche.

Im Grundaufbau ist das Sonett-Korsett festgelegt. Aber es gibt Variationsmöglichkeiten in der Reimordnung, insbesondere bei den Terzetten.

Walter Mönch unterscheidet in „Das Sonett. Gestalt und Geschichte" drei Grundtypen:

Italien (Petrarca-Typ)
Zwei Quartette (alternierend) und zwei Terzette
       abab / abab / cdc /dcd
       abab / abab / cde /cde
Zwei Quartette (umschlingend) und zwei Terzette
       abba / abba / cdc / dcd
       abba / abba / cdc / cdc

England (Shakespeare-Typ)
Drei alternierend reimende Quartette und ein Reimpaar
       abab / cdcd /efef / gg

Frankreich (Ronsard-Typ)
Zwei Quartette (umschlingend) und zwei Terzette
       abba / abba / ccd / eed
       abba / abba / ccd /ede

Sonette mit sechshebigen Jamben als Metrum (Alexandriner) werden auf der Alexandriner-Website erläutert.

 

BEISPIELE (urheberrechtlich sind es Zitate)

Das Sonett   (A.W. Schlegel)

Zwei Reime heiß' ich viermal kehren wieder   a
Und stelle sie, geteilt, in gleiche Reihen,   b
Daß hier und dort zwei, eingefaßt von zweien,   b
Im Doppelchore schweben auf und nieder.   a

Dann schlingt des Gleichlauts Kette durch zwei Glieder   a
Sich freier wechselnd, jegliches von dreien.   b
In solcher Ordnung, solcher Zahl gedeihen   b
Die zartesten und stolzesten der Lieder.   a

Den werd ich nie mit meinen Zeilen kränzen,   c
Dem eitle Spielerei mein Wesen dünket   d
Und Eigensinn die künstlichen Gesetze.   e

Doch wem in mir geheimer Zauber winket,   d
Dem leih' ich Hoheit, Füll' in engen Grenzen   c
Und reines Ebenmaß der Gegensätze.   e

 

Es ist alles eitell.    (Andreas Gryphius)

DV sihst / wohin du sihst nur eitelkeit auff erden.   a
Was dieser heute bawt / reist jener morgen ein:   b
Wo itzund städte stehn / wird eine wiesen sein   b
Auff der ein schäffers kind wird spilen mitt den heerden.   a

Was itzund prächtig blüht sol bald zutretten werden.   a
Was itzt so pocht vndt trotzt ist morgen asch und bein.   b
Nichts ist das ewig sey / kein ertz kein marmorstein.   b
Itzt lacht das gluck vns an / bald donnern die beschwerden.   a

Der hohen thaten ruhm mus wie ein traum vergehn.   c
Soll den das spiell der zeitt / der leichte mensch bestehn.   c
Ach! was ist alles dis was wir für köstlich achten /   d

Als schlechte nichtikeitt / als schaten staub und windt.   e
Als eine wiesen blum / die man nicht wiederfindt.   e
Noch wil was ewig ist kein einig mensch betrachten.   d

 

Sonett 22     (Shakespeare)

Mein Alter glaub' ich meinem Spiegel nicht,   a
Solange deine Jugend mich noch blendet;   b
Doch zeigt mir Furchen einst auch dein Gesicht,   a
Dann glaub ich fest, daß bald mein Leben endet.   b

Denn alle Schönheit, wie sie lebt in dir,   c
Deckt nur mein Herz mit reiner Hülle zu,   d
Das ganz in dir so lebt, wie deins in mir,   c
Wie könnt' ich denn wohl älter sein als du?   d

O darum, Liebe, sei' auf dich so achtsam,   e
Wie ich für mich nicht, doch für dich sein werde,   f
Dein Herz so hütend, wie treu und bedachtsam    e
Die Amm' ihr Kindlein, daß es nichts gefährde.   f

Zähl auf dein Herz nicht mehr, wenn meines bricht,    g
Zum Wiedergeben gabst du deins mir nicht!   g

 

Allein den Betern    (Reinhold Schneider)

Allein den Betern kann es noch gelingen,   a
Das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten   b
Und diese Welt den richtenden Gewalten   b
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.   a

Denn Täter werden nie den Himmel zwingen:   a
Was sie vereinen, wird sich wieder spalten,   b
Was sie erneuern, über Nacht veralten,   b
Und was sie stiften, Not und Unheil bringen.   a

Jetzt ist die Zeit, da sich das Heil verbirgt,   c
Und Menschenhochmut auf dem Markte feiert,  d
Indem im Dom die Beter sich verhüllen,  e

Bis Gott aus unsern Opfern Segen wirkt,  c
Und in den Tiefen, die kein Aug entschleiert,   d
Die trocknen Brunnen sich mit Leben füllen.   e

 

Das „Meistersonett“ aus „Lillis Sonettenkranz“
(Arno Schmidt)

Armeen stampfen zwischen Feuerwänden;    a
Lautlos im Rund Millionen Frauen weinen;   b
Indes die Diplomaten frech erscheinen,    b
Contracte in den glatten Heuchelhänden.   a

Es kommt ein Tag, der wird dies alles enden;   a
Es kommt die Zeit, da wieder über Hainen   b
Mond und Gestirne weiß aus Wolken scheinen,   b
Und jed' Gerät entfällt den wilden Händen.   a

Rast draußen auch die Welt im tollen Toben,    c
Aefft auch die Träger selbst der bill'ge Flimmer:   d
Wir wollen still die alten Dichter loben,   c   

Sie abends lesen im belampten Zimmer;   d
Klein unsre Welt; jedoch wir bleiben oben:   c
Iohannestag zumal erfreut uns immer!   d